Donnerstag, 19. Juli 2007
Angekommen.
Auf dem Weg zum Supermarkt war sie noch da. Als ich vom Einkaufen wiederkam, klaffte dort, wo vorher eine mannshohe Mauer das Grundstück zu meinem Appartementkomplex einschloss, ein Loch. Außerdem stand das Häuschen des Wachmanns plötzlich auf der anderen Straßenseite und als ich heute früh aus dem Fenster schaute, zogen dutzende der sagenumwobenen „Wanderarbeiter“ eine neue Mauer an einer anderen Stelle hoch. Zum Mittag war sie fertig.

Manche Dinge gehen schnell in China. Das gilt nicht für den Verkehr oder Kinokartenverkäuferinnen. Im Falle des Verkehrs ist das auch ganz gut so, weil Karambolagen bei Schritttempo weniger Schaden anrichten - und die sind zahlreich.

Meine Mitbewohnerin bzw. Vermieterin Saja ist wahrscheinlich die einzige Chinesin, die jemals an einer roten Fußgängerampel stehen geblieben ist. Nicht, dass es wirklich viel Unterschied macht, ob man bei rot oder grün geht. Denn erstaunlicherweise kreuzen bei grün beinahe genauso viele Autos, Mofas und Fahrräder den Fußgängerüberweg wie bei rot und das aus allen Himmelsrichtungen.

Saja ist der englische Name meiner Mitbewohnerin, den chinesischen übe ich noch. Weil unser WG-Hund (nein, er war nie für den Kochtopf bestimmt, das sind bösartige Vorurteile) keinen englischen Namen hat und ich seinen richtigen nicht aussprechen kann, nenne ich ihn wahlweise "dog" oder "Scheißköter" - letzteres wenn wir unter uns sind und er versucht, mich durch lautes Bellen aus der Wohnung zu treiben.

Beim Abendessen mache ich dann meist mit Saja Kulturaustausch im weitesten Sinne. So lerne ich im Kleinen viel Neues über das Land und bekomme auf vieles, das ich sonst nur aus Büchern kannte, eine andere Perspektive. Sajas Großvater war Mitglied der Kuomintang, die vor den Kommunisten über China herrschten. Er floh nach Taiwan, als die Kommunisten die Regierung übernahmen. Wegen seiner Familie kam er aber zurück, wurde festgenommen, verschleppt und kehrte erst nach mehr als 20 Jahren aus einem Gefangenenlager irgendwo im Niemandsland zurück. Wir kommentieren selten das, worüber wir sprechen – ich vermutlich noch seltener als Saja. Das wäre dann vielleicht das nächste Stadium des Kulturaustauschs.

Und wer sich jetzt vielleicht schon Sorgen um mein die Diplomarbeit betreffendes Vorankommen machte – auch damit beschäftige ich mich und die Interviews laufen super. Bisher wehrt sich die Realität wieder einmal vehement gegen die Theorie – was ja so eine empirische Arbeit auch irgendwie erst interessant macht.

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